Die Geburt des Internet in Deutschland.
von Jochen Müller, Frühjahr 2006
Deutschland ist zum Internet gekommen wie die
Jungfrau zum Kinde. Soviel ist sicher.
Und hat natürlich wie immer in solchen Fällen völlig
hysterisch und neurotisch überreagiert.
Ohne Zweifel. Erst in den letzten Jahren versachlichte sich die Lage,
Fehler werden endlich mal bemerkt,
falsche Propheten verstummen. Und endlich wird es nun dadurch möglich
das Internet zur Abwechslung auch einmal als ein wertvolles Instrument
des Kontaktes, der Information und des Marketings sinnvoll zu nutzen.
Sehen wir uns die Anatomie
dieses Phänomens einmal in Ruhe an:
Über
den genauen Zeitpunkt will ich nicht feilschen, irgendwann so um 1999
herum gelangte das Internet plötzlich in das
Bewusstsein der Deutschen. Wie immer natürlich Jahre später
als in vergleichbar entwickelten Ländern,
aber das muß hier bei uns wohl so sein.
Langsam,
aber einer exponentiellen Entwicklung folgend, wurde das Internet zunächst
über die "alten" Medien
(und nicht etwa über sich selbst!) bekanntgemacht. Zu diesem Zeitpunkt
hatten nur wenige Haushalte einen Internet-Zugang,
ganz wenige Unternehmen waren im deutschsprachigen Internet vertreten.
Die
Neuartigkeit des Mediums war für die "alten" Medien natürlich
ein willkommener Sensationsstoff,
hier war noch etwas Neues auszumachen. So wurde das Internet mehr und
mehr publik.
Aber immer noch durch die "alten" Medien und wohlgemerkt NICHT durch
sich selbst.
Und
wie in allen Medien offenbar unvermeidlich, wurde jede ach-so-kleine
Neuigkeit des Internets plötzlich
als wer-weiss-wie-grosse Sensation vermeldet.
Und
dies konnte natürlich in den Chefetagen der deutschen Unternehmen
nicht ungehört bleiben.
Plötzlich brach eine unglaubliche Hysterie aus, jeder glaubte seine
eigene Zukunft, und die seiner Kinder zu verspielen
wenn er nicht umgehend ins Internet ginge. Am besten noch heute!
Da
wurden morgens um 9.00 Uhr die Bürotüren aufgerissen, der
Chef steckte den Kopf herein und befahl:
Wir müßen sofort ins Internet, alle anderen sind auch schon
drin. Zack-Zack! Heute Abend will ich da was sehen!
Nun
wurde panikartig und wie vom Bus gestreift eine sogenannte HOMEPAGE
zusammengebastelt.
Am besten macht dies der 14jährige Neffe vom Chef, denn "..der
hat da einen Computer im Kinderzimmer". Heimatland...
Und schwupps war man auf einmal im Internet vertreten. Ahhhhhhhh. Geschafft!
Wir sind drin! Endlich!
Alle
Kunden, Freunde, Bekannte wurden jetzt überfallartig informiert:
"Wir sind drin!".
Etliche Kunden wurden mit großem Alarm erst einmal auf eine "Baustellenseite"
eingeladen,
also genau wie es ja auch im wirklichen Leben anscheinend üblich
ist:
Da laden Sie ja auch Leute zu einer Party ein, und hängen dann
ein Schild an Ihre Haustür:
"Willkommen, hier steigt in Kürze (also in Jahren) eine tolle Party."
Eine solche gesamtdeutsche Hysterie dürfte es seit Jahrzehnten
nicht gegeben haben.
Alle
5 Minuten wurde nun der eMail-Eingang und das offenbar unvermeidliche
Gästebuch gecheckt,
ob schon zig Leute ihren Sermon beigetragen hätten. Und sämtliche
Mitarbeiter des Unternehmens hatten
natürlich auch pflichtschuldigst ihre Anerklennung im Gästebuch
platziert und sich darin die Bälle über
Firmeninternas zugeworfen, so daß sich ein Außenstehender
möglichst ausgegrenzt fühlte,
weil das ist in den neuen Medien "cool" und "hipp"
und vor allem "tough".
Und
das Tollste: Qualitätsprüfungen oder ähnliche nutzlose
Zeitverschwendungen gab es so gut wie gar nicht.
Erfahrene Traditions-Unternehmen mit sonst ausgefeiltestem Marketing
tanzten ohne jede Selbstprüfung auf einmal
wie die Kinder auf der Wiese herum und freuten sich: "Wir sind drin!".
"Nun kann uns in der Zukunft nichts mehr passieren! Denn wir sind ja
nun dabei. Ahhhh, endlich geschafft. Puhhh."
Logischerweise
wurde diese völlig hysterische Reaktion einer Vielzahl der deutschen
Unternehmen
von der Presse und den "alten Medien" auch wieder als Treibsatz für
ein neues, noch größeres Sensationsfeuerwerk eingesetzt.
Und der Effekt schaukelte sich auf. Noch mehr angebliche Sensationen
im Internet.
Noch mehr ausgerastete Unternehmen. Exponentielles Aufschaukeln nennt
man dies. Verlust des Verstandes.
Und
jeder hatte natürlich auch sofort seinen eShop im Kopf, was kümmert
uns der "normale" Kunde,
wir machen jetzt erstmal einen eShop. Also einen Goldesel. Da rollt
dann der Rubel, ihr werdet schon sehen.
Schließlich funktioniert dies auch im Märchen und außerdem
war gestern im Fernsehen ja auch die Rede von einem....
Na, lassen wir's gut sein. Sie haben es sicher selbst erlebt.
Der
Höhepunkt war dann etwa im Sommer 2000 erreicht, als es nahezu
unmöglich war nur eine einzige Ausgabe der
Tageschau, Tagesthemen, des Spiegels oder der FAZ zu sehen oder zu lesen,
in der nicht irgendeine,
die Grundfesten der Welt erschütternde Internetsensation berichtet
wurde.
Und der Tante-Emma-Laden an der Ecke stand
immer noch. Komisch.
Und die Bäume waren immer noch grün und der Regen naß.
Hä?
Obwohl doch nun alles in der Welt ganz anders werden würde.
Auch merkwürdig.
Komischerweise
blieben aber die als selbstverständlich angenommenen Umsatzzuwäche
von mindestens 500% aus.
Wie? Was ist los? Warum das denn?
Und zum ALLERERSTEN MAL betrachteten die Unternehmen ENDLICH ihre eigenen
Internetseiten
einmal mit den üblichen Qualitätsansprüchen, also denen
womit sonst jede Hauspostille über die Öffnungszeiten
der Kantine vor Veröffentlichung geprüft worden wäre.
Es war wie das Erwachen aus einem langen Traum...
Ernüchterung
trat ein. Kein Mensch hat per Doppelklick sein Fertighaus bestellt.
Merkwürdig das.
Haben wir vielleicht etwas falsch gemacht? WIR? ZUM ERSTENMAL EINE SELBSTPRÜFUNG!
Es ist schier nicht zu glauben, wie naiv ein Großteil deutscher
Unternehmen dem Internet begegnet ist.
Und
nun begann langsam das Aufräumen. Frühjahr 2001. Firmen werden
sachlich und fangen an das Internet zu begreifen.
Und auf einmal stellen sich Erfolge ein. Allerdings bei denen, die begriffen
haben wie es gehen kann.
Die sich gut beraten ließen, die erkannt haben wo die fantastischen
Möglichkeiten liegen. Und wo nicht.
Dennoch
ist es auch heute, Frühjahr-2006 keine Kunst mit wenigen Klicks
noch Websites zu finden, die mit
Kundennähe, Aktualität und den üblichen
Sprechblasen auftreten, die Preise von Produkten aber noch in D-Mark
angeben.
Jeder Kommentar verbietet sich hier schlichweg, schauen wir besser einfach
weg.
Machen Sie nicht die o.g. Fehler, lassen Sie
sich sachlich und pragmatisch beraten.
Denn Sie können nicht auf das Internet verzichten, wenn Sie im
Rennen bleiben wollen,
aber machen Sie es mit Verstand und leiden Sie nicht unter den Schwächen,
nutzen Sie die Stärken des Mediums.
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